Der Rattenfänger von Hameln

Der nördliche Ith
Mythen und Sagen

Man schrieb das Jahr 1284. Um den Johannistag hatte es wie jedes Jahr in Hameln eine Reihe von festlichen Tagen mit ausgelassenem Treiben gegeben. Auszüge und Umzüge, besonders auch von Jugendlichen und Kindern, waren an der Tagesordnung. In der Dunkelheit flammten auf den Höhen des umliegenden Berglandes die Johannisfeuer auf.
Angeregt durch die Festlichkeiten des vorangegangenen Johannistages machte sich am 26.Juni eine stattliche Schar von Kindern bei schönsten Sommerwetter auf zum knapp zwei Meilen entfernten Ith. Wuchtig und schroff springt am nördlichen Ith das Massiv des Fahnensteins in die Ebene vor. Auf seiner Höhe wurde alljährlich nach uraltem Brauch ein Sonnenwendfeuer abgebrannt, und dazu wollte die Hamelner Jugend dabei sein. Mit frohem Spiel und Sang ging es aus dem Ostertor Hamelns hinaus. Ein Spielmann, ein Pfeifer, führte den langen Zug von 130 Kindern an.
Rechtzeitig gegen Abend wurde der Cobbenberg, wie diese Ithhöhe in den ältesten Urkunden genannt wird, erreicht. Zu Füßen des Fahnensteins, auf halber Höhe des Cobbenberges, liegt die schaurige Teufelsküche, ein ehemals sumpfiger Felskessel inmitten steiler Felsabstürze. Die Überlieferung weist diesen Ort als altgermanische Kult- und Opferstätte aus, der später in christlicher Zeit durch die Benennung Teufelsküche dämonisiert und diffamiert wurde. Gerade die zu Füßen des Fahnensteins liegende Teufelsküche zog nun den Anführer der Kinderschar besonders an. Wie alle Angehörigen seiner Zunft war er noch aus der Kirche ausgeschlossen und deshalb den alten Glaubensvorstellungen verhaftet.
Die Teufelsküche war gefährliches Gelände, bedingt durch den Sumpfkessel und die steilen Felsabstürze, von denen im Laufe der Zeit große Blöcke sich abgelöst hatten und heute das Sumpfloch ganz ausgefüllt haben. Geheimnisvolle Nebel stiegen aus dem Grunde auf, Irrlichter schwebten hin und her. Die einbrechende Dämmerung weckte in den Kindern Furcht vor Spuk und Gespenstern. Wie durch Zauberkraft drängten sie vorwärts.
Der Rattenfänger von Hameln

Als die Vordersten im Sumpf versanken, griff Panik um sich, und anstatt der Gefahr inne zu werden und umzukehren, wurden die Zurückbleibenden völlig kopfscheu. Teils von abergläubischen Vorstellungen getrieben, teils in dem Bestreben, ihre Gefährten zu retten, drängten sie vorwärts und damit ins Verderben. So wurde der Sumpfkessel der Teufelsküche am Hang des Cobbenberges, knapp zwei Meilen östlich Hamelns, zum Grab der 130 Hamelnschen Kinder.

Inschrift am Hamelner Rattenfängerhaus von 1602:

"Anno 1284 am Dage Johannis et Pavli war der 26 Juni - Dorch einen Piper mit allerley Farve bekledet gewesen CXXX Kinder verledet binnen Hameln geboren - to Calvarie bi den Koppen verloren"

Quelle: Ulrich Baum "Ithland, Sagenland"