Vom Ursprung der Sachsen

Mythen und Sagen

Dort, wo sich im wilden Watt die Wasser der Weser mit den Fluten des Elbstromes vermischen, liegt das Land Hadeln. Hier landeten vor nunmehr bald zweitausend Jahren die ersten Sachsen auf deutschem Boden. Dazumal hatten die Thüringer jene Grafschaft zu eigen und wollten keine fremden Zuwanderer dulden. Denn die Hufen waren aufgeteilt, und mehr Volk konnte die Marsch kaum ernähren, wenn sie auch dreifache Frucht trug. So griffen die Einwohner zu den Schwertern um die Sachsen wieder aus dem Land zu jagen. Die Zugereisten aber verstanden sich auf die Kriegskunst, und wenn sie auch in der Minderzahl waren so behaupteten sie dennoch den Hafen. Nach manchem blutigen Strauß ließen die Thüringer sich bewegen um einen Waffenstillstand zu unterhandeln. Eide wurden geschworen, Rechte und Pflichten abgegrenzt. Nun wurde ausgemacht, daß die Sachsen für Gold kaufen durften was ihnen beliebte, nur sollten sie abstehen vom Menschenmord und Länderraub. Lange galt dieser Friede als unverletzlich bis den Sachsen das Gold ausging und sie nicht mehr wußten wovon sie leben sollten. Da hielten sie den ganzen Frieden für unnütz.
Zu jenen Tagen geschah es, daß ein sächsischer Jüngling von großer Fahrt zurückkehrte. Der war behängt mit allerlei Goldschmuck, wie Ketten, Ringe, Spangen und Baugen. Da begegnete ihm ein Thüringer und verhöhnte ihn: "Was trägst du so viel Gold an deinem ausgehungerten Hals?"
"Such ich doch einen Käufer", entgegnete der Sachse listig, "zu keinem anderen Zweck schleppe ich all mein Gold mit mir herum. Denn wie könnte ich Freude an meinem Besitz haben, wenn mich der Hunger auffrißt." Frug der Thüringer: "Was soll es gelten?" "Gleichviel", sagte der Sachse, "liegt mir doch wenig an all dem Glitzerkram." "Und wenn ich dir diesen Staub dafür gebe?" fragte der Thüringer. Denn es war an dem Orte viel lockere Erde. Da öffnete der Sachse seine Taschen: "Deine Erde kaufe ich gern!", ließ diese sich vollfüllen und gab sein gutes Gold dafür hin. Also schieden sie voneinander, beide dieses Handels froh.
Da der Thüringer so goldüberladen zu seinen Landsleuten kam und sie von dem Tausch erfuhren, lobten sie ihn über den grünen Klee. Dagegen der Sachse von seinen Brüdern den Schimpf der Torheit einstecken mußte. Er ließ sie schmälen und schelten, dann sprach er: "Gold kann ich nicht kauen, ihr könnt es auch nicht verdauen, und auf den Schiffsplanken wächst kein Brot.
Des Menschen Leib aber lebt von der Erde. Darum sollt ihr mir nun Folgschaft leisten." und er nahm den gekauften Staub, streute ihn fein dünn über die Fluren der Thüringer hin und bedeckte damit ein großes Feld. Das nahm er als Lagerplatz in das Eigentum seines Volkes. Da die Thüringer nun auf ihren Feldern die Zelte der Sachsen erblickten, schickten sie Gesandte. Die beklagten sich über den Vertragsbruch. Da sagten die Sachsen: "Den Frieden haben wir allezeit heilig gehalten. Das Land aber, welches wir mit unserem guten Golde erkauft haben, wollen wir ruhig behalten oder es mit der Waffe verteidigen." Nun verwünschten die Einwohner den sächsischen Goldhort und merkten wohl, daß der vorerst gepriesene Aufkäufer ein Verderber ihres Volkes war. In blinder Wut stürzten sie sich auf das Lager der Feinde. Die Sachsen aber fingen den Angriff mit ihren guten Schwertern auf, gingen zum Gegenangriff über und besetzten nach Kriegsrecht die umliegenden Orte. Hin und wieder tobte der Kampf, und die Thüringer merkten wohl, daß die Sachsen sie alle zusammenhauen würden. So sandten sie abermals Vermittler aus und verlangten, beide Teile sollten waffenlos an einem bestimmten Orte zusammenkommen um einen neuen Frieden zu beküren. Tag und Stunde wurde bestimmt. Da standen sie denn alle im Ring, und ihre Fürsten führten das große Wort. Die Sachsen aber hatten die Gepflogenheit, kurze Schlachtmesser zu tragen. Von dieser Sitte hatten sie auch diesmal Gebrauch gemacht und die Dolche, welche sie Sachse nannten, unter ihren Gewändern verborgen. Als sie nun sahen, wie wehrlos die Feinde waren, zogen sie, entgegen dem Rechtsbrauch, ihre tückischen Waffen, stürzten sich auf die ahnungslosen Unterhändler und tauchten den Mordstahl in ihre Herzen. Nach diesem schrecklichen Blutbad nahmen sie das ganze Land in Besitz und waren von Stund an bei allen Völkern ringsrum gefürchtet ob ihrer List und Gewalttätigkeit. Der Ruf ihrer Unwiderstehlichkeit breitete sich aus, und der Name Sachs wurde von den kurzen Messern auf ihre Träger übertragen, so daß sie hinfort nur die Sachsen hießen. Sie eroberten im Laufe der Zeit die Landschaften zwischen Nordsee und Harz, zwischen Ruhr und Diemel, und später erhielt auch das Volk der Angelsachsen seinen Namen von jenem verwegenen Volksstamm, der in grauer Vorzeit auf Schiffen vom Norden her in unsere Heimat gekommen war.

Quelle: Die schönsten Wesersagen von Karl Paetow